Einvernehmliche Kriterien, welche die Programmauswahl der Sektion Langfilm prägen, sind die politische, soziale und kulturelle Relevanz der Themen sowie die filmkünstlerische Bearbeitung der eingereichten Beiträge. Neben klassischen Darstellungsweisen sollen seit jeher durch die Präsentation innovativer Formate vermeintliche Grenzen des Genres sowie die Macht, Manipulierbarkeit und Manipulationskraft der Bilder zur Diskussion gestellt werden. Zudem erhalten Low- oder No-Budget-Produktionen und Nachwuchsarbeiten sowie neue Projekte alt bekannter Filmemacher*innen auf dem Kasseler Dokfest in den Sichtungen besondere Aufmerksamkeit. Denn dokumentarfilmische Schaffensprozesse kontinuierlich zu begleiteten, ist uns ebenso ein Anliegen, wie den Perspektiven mutiger und außergewöhnlicher Projekte eine Plattform zu bieten.
Verantwortlich für die Auswahl sind die Mitglieder der Sichtungskommission, die sich aus Personen mit unterschiedlichen professionellen Hintergründen zusammensetzt. Neben ihrem Interesse am politischen und kulturellen Weltgeschehen und der Neugier auf mutige und unkonventionelle (Lebens-) Geschichten vereint die Gruppe eine cineastische Obsession für den dokumentarischen Film in all seinen inhaltlichen und ästhetischen Gestaltungsformen sowie die Freude an leidenschaftlichen Diskussionen über die besten Dokumentarfilme für das Kasseler Filmfest.
Selbstverständlich kann aus der zunehmenden Fülle herausragender Arbeiten alljährlich nur ein Ausschnitt gegenwärtigen Dokumentarfilmschaffens gezeigt werden, der formal und inhaltlich ein möglichst breites Spektrum abdecken und während der Festivaltage ein ebenso breites Publikum erreichen soll.
Auswahlkommission 2024: Sarah Adam, Senem Aytaç, Joachim Kurz, Sita Scherer
Mitarbeit: Stefanie Gaus, Anja Klauck, Cosima Lange, Afsun Moshiry, Christine Rogi, Dennis Vetter
Assistenz: Paula Berger
Langfilm – 2024:
Es sind herausfordernde Zeiten, in denen wir uns befinden. Die schiere Fülle von Ereignissen, das Übermaß an Informationen und die Gleichzeitigkeit von scheinbar Widersprüchlichem, die zunehmend spannungsgeladene Koexistenz vom Streben nach Wahrheit und der Industrialisierung der Lüge (Fake News) – das alles stellt uns tagtäglich vor die Wahl, fordert uns auf Stellung zu beziehen, in Sekundenschnelle und ohne sorgfältig alle Seiten abgewogen und jede Perspektive ausführlich betrachtet zu haben. Dabei sind es doch gerade die Zwischentöne, die Uneindeutigkeiten und glücklichen Zufälle, die das Leben – unser Leben – bereichern.
Unsere Auswahl an Filmen, die wir in diesem Jahr unter rund 600 Filmen (eingereichte ebenso wie von uns angefragte) getroffen haben, ist eine Einladung, dieser Komplexität der Welt zu begegnen, den Bildern der Filmemacher*innen einerseits zu folgen und uns andererseits selbst unser Bild zu machen, in den Filmen und den Gesprächen neue Sichten auf die Welt kennenzulernen und uns darauf einzulassen – etwas, das in der „Welt da draußen“ immer schwieriger zu werden scheint.
Die unterschiedlichen Sichtweisen, Erzählformen und Ästhetiken der diesjährigen Langfilm-Auswahl tragen der Vielschichtigkeit, Komplexität und Nuanciertheit der Welt Rechnung. Neben streng beobachtenden „klassischen“ Dokumentarfilmen finden sich hier Experimente, gattungsübergreifende Hybride an der Grenze zur Fiktion, Heiteres ebenso wie persönliche Essays, kühne Versuchsanordnungen am Rande der Abstraktion, Ausflüge in die Historie und Ausblicke in die Zukunft. Und immer wieder Werke voller Überraschungen, unerwarteter Wendungen und neuer Erkenntnisse über die Welt, das Leben und oft genug auch über sich selbst.
„Serendipität“ lautet der Terminus für das Glück unerwarteter Entdeckungen und die Freude, etwas Bedeutendes oder Bedeutsames gefunden zu haben, ohne dass man danach suchte. Diese Auswahl, die wir getroffen haben, ist eine Einladung dazu, sich dieser Macht lustvoll und neugierig auszuliefern.