Filmemachen ist ein ständiges Aushandeln von Sichtbarkeiten, durch das Neues produziert und alte Bilder überschrieben werden. Die sechs Mitglieder der Auswahlkommission hatten die Aufgabe, aus knapp 2.000 eingereichten Kurzfilmen die Trends und Strömungen der aktuellen Filmproduktion zu erfassen. Herausgekommen ist ein Programm mit 110 Filmen aus 38 Ländern, mit vielen jungen Filmemacher*innen, aber auch altbekannten. Mit 25 Programmen besetzt die Sektion fünf Tage lang das BALi Kino im KulturBahnhof.
Auswahlkommission 2024: Theresa George, Boris Hadžija, Linn Löffler, Jessica Manstetten, Afsun Moshiry, Matti Ullrich
Assistenz: Zeinah Kamel
Kurzfilm – 2024:
Der Kinosaal bietet Flucht vor dem Alltag und Schutz vor all den Problemen, die, ohne müde zu werden, in einem fort ihre Kreise drehen. Wer überfordert ist, findet Ruhe, wer einsam ist, Gesellschaft beim Flackern der Bilder. Das Kasseler Dokfest bietet ebenfalls Schutz, jedoch auch von anderer Art. Es ist ein „Schutzraum“, in dem schwerer zu ertragene Fakten und Diskussionen am besten aufgehoben sind. Dabei steht gerade nicht nur die Flucht aus dem Alltag auf dem Programm, sondern die Auseinandersetzung mit dem Alltag selbst – dem eigenen und fremden – in all seinen Facetten. Kurzfilme und Kurzfilmkompilationen können dabei besonders fein und nuanciert die Gemengelage unserer Welt aufgreifen und herausarbeiten. Dennoch: Auch wir, als Sichtungsgruppe, sehnen uns nach etwas Wärme und Trost in andauernden Ausnahmezuständen, nach Kinobesuchen, die Geborgenheit, Kraft und Zuversicht geben oder einfach Spaß machen. Unsere Sehnsucht spiegelt sich auch in der diesjährigen Filmauswahl und den Programmen wider. Sie führen uns auf unvorhergesehene Reisen in Tiefen und Höhen, wo die Nuancen aufscheinen, die ansonsten fehlen. Und ihr Fehlen verengt unseren Zugang zur Welt nicht einfach nur, sondern verzerrt ihn.
Was die Filmschaffenden in diesem Sinne
vollbringen, teilen und anregen, hat uns sehr bewegt. Ihr Einfühlungsvermögen
und ihre Neugier im dokumentarischen und experimentellen Arbeiten sprüht vor
Leben. Dabei sticht ihr Hang zu den elementaren und planetaren Kräften ins
Auge: Sie buddeln sich in tiefe Höhlen, umgeben sich mit steinigen Gefilden,
suchen die Dunkelheit der Nacht. Vielleicht reflektiert man hier einfach
besser, ungeblendet, ungestört? Andere blicken hinauf zu den Himmelsgestirnen,
tief hinein ins Universum. Wo versteckt sich die Antwort, wo stillt sich unsere
Sehnsucht? Dunkelheit und Licht, sie bilden seit jeher die Dualität, auf die
Kino ein Hausrecht hat.
Und ob auf einsamen Streifzügen durch die Dunkelheit, durchs Archiv und
weite Landschaften oder beim gemeinsamen Zusammensitzen, Lieben und Streiten –
alle finden einen Platz im großen Kinosaal.
Mit 110 Filme aus 38 Ländern, vielen jungen Filmemacher*innen, aber auch altbekannten, meldet sich Edition 2024 mit diversen Stimmen zu Wort. Es ist bemerkenswert, dass sie überwiegend weiblich oder nicht-binär sind. Auch darin liegt Hoffnung.
Mit 25 Programmen besetzen wir fünf Tage lang das wunderschöne BALi Kino im KulturBahnhof. Ob zur frühen Stunde oder um Mitternacht, für alle Lerchen, Eulen und Tauben dazwischen: Es gibt Kurzfilme satt. Zwei Programme mit den Universitäts-Studiengängen Literatur- und Politikwissenschaft, ebenso wie eine Kooperation mit dem FIDMarseille Festival und dem Queerfilmfest Kassel. Zum zweiten Jahr in Folge möchten wir das Verständnis von Kurzfilm-Kompilationen neu polen und Kino erweitert denken – mit einer Performance umgeben von Videoarbeiten am Freitag um 20 Uhr. Und wer dann immer noch nicht genug hat, kann einen Ausflug in die älteste Videothek der Welt machen, die zufällig direkt ums Eck liegt. Denn auch dort zeigen wir am Freitagabend ein Programm.
Wärme und Trost finden wir mal weniger und mal mehr. In einigen Programmen, wie zum Beispiel dem spielerischen Kurz und Knapp, ist sie allgegenwärtig. Da kuschelt man sich gut in den Kinosessel und vergisst zumindest für einen kleinen Moment den nassen ungemütlichen Novemberregen, der von draußen gegen die Scheibe trommelt und sich vielleicht bald schon in Schnee verwandelt haben wird.